Creative ways for climate-neutral artistic producing
June 26, 2024
„Join“ ist die erste gemeinsame Tanzproduktion, die HELLERAU und die Dresden Frankfurt Dance Company (DFDC) klimaneutral realisieren. Pina Schubert (Projekt Zero), Tobias Blasberg (HELLERAU) sowie Annika Glose und Ioannis Mandafounis (DFDC) berichten im Interview mit Henriette Roth (HELLERAU) über den Prozess. Dieses Interview ist zuerst erschienen im HELLERAU Magazin.
Was ist das Besondere an der Produktion „Join“ im Vergleich zu anderen Produktionen der DFDC?
Annika Glose: „Join“ ist eine Produktion der DFDC, die in Kooperation mit HELLERAU im Rahmen des Fonds Zero entsteht, einem Förderprogramm der Kulturstiftung des Bundes für klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte. Wir erproben darin zum ersten Mal gemeinsam Wege für einen klimafreundlicheren Produktionsprozess.
Ioannis Mandafounis: Wir setzen in dieser Produktion eine besondere künstlerische Idee um. Es entsteht ein Tanzprojekt in „Operngröße“, bei dem wir sehr viele Tänzer*innen auf die Bühne bringen. Das realisieren wir durch Kooperationen mit regionalen Kunsthochschulen. Zusätzlich zum Ensemble der Dresden Frankfurt Dance Company sind ca. 60 Studierende der Palucca Hochschule für Tanz beteiligt. Die Studierenden proben vor Ort in Dresden und das Stück wird erst ein paar Tage vor der Premiere mit allen Tänzer*innen finalisiert. Der Plan in Frankfurt wird ähnlich umgesetzt. Dort arbeiten wir mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst zusammen.
Mit diesem Konzept vermeiden wir unnötige Mobilität und damit einhergehende Emissionen. Zugleich zeigen wir, dass ökologische Nachhaltigkeit nicht nur Verzicht bedeuten muss. Wir können durchaus große Produktionen im Bereich Tanz umsetzen. Es ist einfach eine andere Herangehensweise.
Warum haben sich HELLERAU und die DFDC imFonds Zero Programm beworben?
Pina Schubert: Schon seit längerem steht das Thema Nachhaltigkeit in HELLERAU auf der Agenda. Seit 2020 arbeitet eine hausinterne Gruppe von „Green Delegates“ an der Entwicklung und Umsetzung der gemeinsamen Nachhaltigkeitsziele. Das Festival „Cool Down“ im Rahmen des Bündnisses der internationalen Produktionshäuser im Juli 2022 thematisierte vor allem künstlerisch den Umgang mit der Klimakrise und neue Praktiken für eine lebenswerte Zukunft.
Wir sehen uns in der Verantwortung, Transformation im Bereich von Kunst und Kultur aktiv mitzugestalten und blicken dabei auf die besonderen Herausforderungen, die sich für internationale Produktionshäuser und tourende Companys stellen.
Für „Join“ möchten wir daher hinter die Kulisseneiner konkreten Produktion schauen und praktisch erfahren, was es bedeutet, eine Tanzproduktion klima- bzw. CO2-neutral umzusetzen. Da wir schon lange eng mit der DFDC zusammenarbeiten, verstehen wir das FondsZero Projekt auch als gemeinsamen Lernprozess für unsere zukünftige Zusammenarbeit.
Was heißt denn eigentlich „klimaneutral“?
Tobias Blasberg: Klimaneutralität ist ein großes Wort. Ganz klar ist: Keine Produktion hier am Haus verursacht „Zero“, also null CO2-Emissionen. Um diesem Ziel aber so nahe wie möglich zu kommen, wollen wir anfallende Emissionen an erster Stelle vermeiden und an zweiter Stelle reduzieren. Wir möchten unseren CO2-Fußabdruck also insgesamt verringern. Damit wir unseren CO2-Fußabdruck richtig berechnen können, erstellen wir für die Produktion „Join“ eine detaillierte CO2-Bilanz.
Es entstehen also immer noch Emissionen?
Pina Schubert: Genau, klimaneutral bedeutet in unserem Fall, dass wir alle Emissionen, die durch uns verursacht werden, letztendlich kompensieren. Die CO2-Kompensation geschieht durch die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten. Im Programm FondsZero ist festgelegt, dass wir bis zu 1% unserer Fördergelder für den Erwerb von CO2-Kompensationszertifikaten verwenden dürfen.
Tobias Blasberg: Mit dieser 1%-Vorgabe hatten wir schon zu Beginn des Projektes ein „Budget“ für Emissionen in Tonnen, welche wir maximal verursachen und kompensieren „dürfen“. Tatsächlich aber war die Höhe der CO2-Emissionen für das ganze Team am Anfang ein ziemliches Rätsel. Geholfen hat uns das Instrument der CO2-Bilanzierung: Man lernt dadurch überhaupt erstmal die Zahlen kennen und kann diese mit den verschiedenen Prozessen der Produktion zusammenbringen.
Was habt ihr dadurch schon über den Fußabdruck einer Tanzproduktion in HELLERAU gelernt?
Tobias Blasberg: Wir haben die Produktion im ersten Schritt in einzelnen Phasen betrachtet: die Konzeption, die Proben, die Vorstellungen in Dresden und in Frankfurt, aber auch parallel laufende Prozesse wie Öffentlichkeitsarbeit oder regelmäßige Projekttreffen. Dann haben wir für jede Phase anhand von existierendenEmissionswerten einen Überschlag erstellt. So konnte für alle Beteiligten dargestellt werden, wo die Emittenten sind. Danach haben wir begonnen, die großen Verursacher anzuschauen, etwa die Anreisen der Company, Übernachtungen, Transporte, aber natürlich auch Strom und Heizenergie für die Probenräume oder Anschaffungen für Bühnen- oder Kostümbild. Durch diese genaue Analyse haben wir auch festgestellt, welchen Anteil Gewohnheiten haben, die bisher niemals hinterfragt wurden. Der Transport von Equipment und technischer Ausstattung macht zum Beispiel sehr viel aus. Durch die Erstellung einer CO2-Bilanz für das Festspielhaus im vergangenen Jahr wussten wir bereits über die Entstehung von Emissionen allein durch die Gebäudenutzung Bescheid, aber auch über den Anteil, der durch die Anreisen unseres Publikums entsteht. Diese machen tatsächlich mehr als ein Viertel aller Emissionen von HELLERAU aus.
Und was habt Ihr mit den Erkenntnissen gemacht?
Pina Schubert: In einem mehrstufigen Prozess haben wir konkrete Maßnahmen entwickelt. Dabei haben wir uns auch utopische Träumereien und Wünsche erlaubt. Diese reichten von einer verstärkten Nutzung von Nachtzügen für die DFDC bis hin zur Anschaffung einer äquivalenten technischen Ausstattung an beiden Spielorten Frankfurt und Dresden. Erst im nächsten Schritt haben wir mit einem realistischen Blick draufgeschaut und haben uns für umsetzbare Maßnahmen entschieden, die den CO₂-Fußabdruck minimieren und möglicherweise auch weitere positive Auswirkungen auf die Arbeit an der Produktion haben. In diesen Prozess haben wir versucht, alle Beteiligten einzubeziehen. Jede*r hat schließlich ein ganz spezifisches eigenes Wissen und Ideen zu Veränderungen und vor allem braucht es auch von allen den Mut, die Dinge dann wirklich auszuprobieren.
Gibt es einen Konflikt zwischen dem Fokus auf Nachhaltigkeit und der künstlerischen Arbeit?
Ioannis Mandafounis: Aus meiner Sicht gibt es da keinen Konflikt. Die Arbeit mit den Studierenden sieht ohnehin anders aus als die mit unserem Ensemble. Es ist natürlich ein anspruchsvoller Plan, alle Elemente erst relativ spät zusammenzufügen, aber wir haben das Projekt von Anfang an so konzipiert und diese besonderen Umstände eingeplant.
Ein wesentlicher Teil der Proben wird dafür verwendet, dass sich die Studierenden mit der Methode der Live-Choreografie vertraut machen, die wir in unserer Arbeit verwenden. Ein weiterer Aspekt ist die Zusammenarbeit von Tänzer*innen unterschiedlicher Erfahrungsstufen. Wir erhoffen uns da einen inspirierenden gegenseitigen Lernprozess.
Annika Glose: Wir verstehen die Kooperation daher auch als künstlerisch nachhaltig. Ioannis‘ besondere Methode wird mit dieser Produktion an zahlreiche junge Tänzer*innen weitergegeben, die diese für ihre eigene kreative Arbeit an ihren zukünftigen Wirkungsorten nutzen können.
Welche Maßnahmen plant ihr konkret, um CO₂ zu reduzieren?
Annika Glose: Auch wenn die Produktion „Join“ klimaneutral umgesetzt wird, verzichten wir nicht auf ein Bühnen- und Kostümbild. Bei den Kostümen werden wir aber mit Second-Hand- Kleidung und dem Recycling abgespielter Kostüme arbeiten. In der Kommunikation haben wir vor allem auf digitale Kanäle gesetzt und die Menge der Drucksachen reduziert. Außerdem blicken wir auf den Bereich Transport und Übernachtungen. Es ist uns wichtig, dass auch unser Hotel an der Reduktion des eigenen CO₂-Fussabdrucks arbeitet. Unser Wahlhotel ist mit dem „GreenSign Level 4“ zertifiziert. Unverzichtbar ist der Transport von technischem Equipment und einzelnen Bühnenbildteilen. Wir versuchen dafür aber erstmals, Wege abseits des klassischen Lkw-Transports zu finden.
Pina Schubert: Über die Produktion hinaus geht es uns auch um andere Bereiche, die in HELLERAU angesiedelt sind. Seit diesem Jahr wird die LAGO Bar, unsere Gastronomie im Festspielhaus, von der RainKost Obermühle beliefert, einer solidarischen Landwirtschaft für Gewerbebetriebe. Wir freuen uns, mit dieser Kooperation eine ausgewogene regionale und saisonale Verpflegung der Künstler*innen, Mitarbeitenden und natürlich unseres Publikums ermöglichen zu können. Und wenn alles klappt, können wir insgesamt unseren Fußabdruck um einige Tonnen CO2 reduzieren. Um den unvermeidlichen Rest zu kompensieren, werden wir dann ein geeignetes Klimaschutzprojekt recherchieren, was gar nicht so einfach ist.
Wo liegt das Problem bei der CO2-Kompensation?
Pina Schubert: Der menschengemachte Klimawandel wirkt sich aufgrund der stetig steigenden Konzentration von Klimagasen wie CO2 in der Atmosphäre weltweit aus. Eine CO2-Kompensation muss daher auch nicht zwangsläufig an dem Ort stattfinden, an dem die Emissionen entstanden sind. Das ist einerseits ein Vorteil, andererseits liegt hier aber auch eine Schwierigkeit.
Die meisten Klimaschutzprojekte, die Zertifikate für CO2-Kompensation anbieten, sind in den Ländern des Globalen Südens tätig. Was zunächst unter dem Aspekt der Entwicklungszusammenarbeit positiv klingt, birgt allerdings auch die Gefahr des Greenwashings. Trotz der Zertifizierungsstandards wird das CO2-Einsparpotenzial häufig überschätzt und im Zweifelsfall das Ziel „klimaneutral“ gar nicht tatsächlich erreicht.
Hinzu kommt, dass durch einzelne Projekte, die beispielsweise Wälder aufforsten möchten, die ursprünglichen landwirtschaftlichen Aktivitäten der lokalen Bevölkerung eingeschränkt werden, die die Flächen als Lebensgrundlage benötigen. Es gilt daher, besonders gut auf die Einbindung lokaler Akteur*innen in die Projekte zu achten. Kompensation kann im schlimmsten Fall globale Ungerechtigkeit verstärken und indirekt weiterhin zu einer klimaschädlichen Lebensweise des Globalen Nordens beitragen. Im Sinne einer seriös angestrebten „Klimaneutralität“ müssen vor allem ernsthaft Maßnahmen zur Vermeidung und Reduktion von Emissionen ergriffen werden.
Was wird für das Publikum vielleicht anders sein als bei anderen Vorstellungen?
Annika Glose: Zunächst hoffen wir, dass unser Publikum ein außergewöhnliches künstlerisches Erlebnis haben wird, wenn die DFDC mit den Studierenden der Palucca Hochschule für Tanz ein großes Tanzereignis schafft. Hinzu kommen die grüne Umgebung von HELLERAU sowie die Gastfreundschaft der LAGO Bar, die den Besuch abrunden.
Pina Schubert: Auch unser Publikum kann an der Verbesserung der CO2-Bilanz mitwirken. Genauso wie wir die Emissionen der Reisen und Transporte der Company berechnen, spielen auch die Emissionen der An- und Abreise des Publikums eine Rolle. Für ein Theater gilt das Gleiche wie auch sonst im Alltag: ÖPNV und Fahrrad sind die klimafreundlichsten Anreisemittel. Anreisen mit dem Auto verursachen die größten Emissionen. Vielleicht ist es ein Anreiz, für den Zeitraum der Produktion „Join“ das Auto stehen zu lassen und am Stadtradeln teilzunehmen, das in Dresden vom 07. bis 27.09. stattfindet. Bildet ein Team und sammelt Kilometer auf dem Weg zu uns!
Foto: Sitara Thalia Ambrosio